Hypernacht
Hypernacht
„Hypernacht“ ist eine experimentelle Erfahrung für alle, die nicht schlafen können. Dabei werden die Grenzen des herkömmlichen Fernsehens durch die Sprache der Klänge und Bilder überschritten. Die Zuschauer:innen erleben dabei eine überraschende Annäherung unterschiedlichster Kunstformen.
Zuerst erscheinen Menschen, die die Welt durchschreiten und dabei ihre Füße filmen. Sie werden im Verlauf der Sendung immer wieder auftauchen. Doch am Ende des Weges …
Anschließend zeigen die Boxerinnen und Boxer des französischen Nationalteams in „Hypernacht“ ihr Können am Boxsack. Sie befinden sich in einem dunklen Raum, der von Moving Lights beleuchtet wird. Dabei sind zwei Männer mit Handkamera; es entsteht ein atemberaubender Nahkampf zwischen Boxenden und Filmenden. Eine neue Form des Sportjournalismus. Die Bilder entstanden unter der Regie von Nicolas Thibault vom französischen Sportinstitut INSEP (Institut National du Sport, de l'Expertise et de la Performance).
Im Anschluss an dieses kräftezehrende Sport- und Filmerlebnis bietet sich in einem Moment der reinen Poesie und Schönheit die Gelegenheit zur Erholung: „Hypernacht“ zeigt mit „Carabosse“ (1980) von Larry Jordan einen fantasievollen Klassiker des experimentellen Kinos. In der animierten Collage bewegen sich Figuren und Gegenstände aus Stichen des 19. Jahrhunderts in surrealistischer Manier zu den Klängen der betörenden „Gnossienne Nr. 4“ von Erik Satie.
Nach einem erneuten kurzen Auftritt der Fuß-Menschen erscheint Stéphane Lavoué, einer der großen französischen Porträtfotografen. In „Hypernacht“ spricht er über seine Arbeit in den Monts d‘Arrée in der Bretagne. In beeindruckenden Bildern hat er die Bergregion und die Menschen fotografiert, die dort leben. Seine Reise war eine Herausforderung, sein Bericht darüber ebenfalls. Eine außergewöhnliche Aufnahmetechnik unterstreicht seine bildgewaltigen Worte, die so kraftvoll sind wie seine Fotos.
Es folgt eine seltsame Szene: In „Der Mann im Mond“ (2000) befindet sich ein junger Mann, der Jeans, Turnschuhe, Sweatshirt, Schal und Mütze trägt, auf dem Mond, als gäbe es nichts Normaleres. Er hat augenscheinlich ein dringendes Bedürfnis. Am Himmel ist eine Halberde zu sehen. Ein Video der schweizerischen Künstlerin Zilla Leutenegger.
Die verlässlich weiterlaufenden Menschen erscheinen erneut und zeigen auf ihre Art die Schönheit der Welt. Ihre Schritte führen zur nächsten Szene: Valparaíso, Chile.
1963 begibt sich der Filmemacher Joris Ivens nach Chile. Hier dreht er die zum Klassiker gewordene Dokumentation „A Valparaíso“. 60 Jahre später ist das andere Ende der Welt nur noch einen Mausklick entfernt. „Hypernacht“ würdigt den Film „A Valparaíso“, indem es Google Maps auf eigene Art nutzt.
In fließendem Übergang geht es weiter zu „L’homme regarde“ (“Der Mann sieht“). Das Gedicht von Paul Valéry verwebt sich im französischen Original und in der deutschen Übersetzung zu einer Texteinheit, in der Übersetzung und Original einander wahllos abwechseln. Der Übergang von der einen in die andere Sprache stellt beim Lesen eine besondere Schwierigkeit dar: Es scheint physisch geradezu unmöglich, die beiden Texte so zu artikulieren, dass sie getrennt voneinander zu verstehen sind. Mathilde Sobottke meistert die Herausforderung in einem Fluss, ohne einen Schnitt.
Im Anschluss an diese Dichtung spielt die Harfenistin Kety Fusco Erik Saties „Gnossienne Nr. 1“. Mit E-Harfe und anderen elektronischen Instrumenten interpretiert sie die wunderschöne Melodie kreativ. Natürlich nimmt diese Szene Bezug auf den Film „Carabosse“ von Larry Jordan.
Schließlich ist von weitem zu sehen, wie ein Mensch durch einen dunklen Wald dem Morgenlicht entgegenläuft. Die Sequenz stammt aus den Aufnahmen zum Film „Hors-Piste“ von Erwann Babin und entspricht ganz dem Geist von „Hypernacht“. Die Hypernacht geht langsam zu Ende.
Doch zuvor … sagen Menschen aus der ganzen Welt einer Person, die sie besonders mögen, Gute Nacht.
Die Schönheit dieser Szenen liegt in der großen Vielfalt der Sprachen, Herkünfte, Lebensumstände, Altersklassen. Begleitet wird dieses Menschheitsporträt von der Band Suicide und dem Song „Dream Baby Dream“. Diese Idee wird in jeder Folge von „Hypernacht“ mit anderen Menschen umgesetzt werden.
Magazin, Regie: Paul Ouazan (F 2022, 46 Min)
Hypernacht | Doku HD | ARTE