Fahrräder aus Hamburg: Mehr als nur zwei Räder
Fahrräder aus Hamburg: Mehr als nur zwei Räder
Sie gelten in der Szene als Fahrradverrückte, die Jungs von Suicycle. „Leider haben wir in unserem Team keine Frauen“, so Mika, der sich um die Wünsche der Kundschaft beim Zusammenbau neuer Räder kümmert.
Der Laden liegt in einer kleinen Straße zwischen Reeperbahn und dem Millerntor-Stadion des FC St. Pauli. Im Erdgeschoss die Reparaturannahme und nebenan der Showroom mit Rädern, Rahmen, Teilen, im Keller sind drei Werkstatträume und jede Menge Kellergänge, vollgestellt mit Ersatzteilen. Hier reparieren und schrauben ein Meister und zwei Gesellen an Fahrrädern. Einer von ihnen ist Bennet. Wenn er nicht auf Konzerten unterwegs ist, baut er auch neue individuelle Rahmen für Fahrräder. Das geschieht in einer kleinen Werkstatt im Freihafen, eigentlich das Revier von Hagen. Der möchte jetzt mit über 70 Jahren sein Handwerk des Rahmenbaus weitergeben. Und Bennet, der schon in England bei einem Rahmenbauer gearbeitet hat, wäre der geeignete Kandidat.
Bei Suicycle kümmern sich zwölf Mitarbeitende um alles rund um das Zweirad. Einmal in der Woche setzen sich alle zusammen. „Bei und bringt jeder seine Ideen ein. Nur so können wir und weiterentwickeln“, sagt Mika. Kunde Heiko weiß das zu schätzen. Er hat inzwischen sieben Räder gekauft und teilweise selbst lackiert und umgebaut. Der Zwei-Meter-Mann ist ständig auf der Suche nach Verbesserungen. Mika ruft ihn an, wenn er etwa einen neuen Lenker, einen speziellen Vorbau im Netz entdeckt. Gemeinsam entscheiden sie, ob sich Bestellung und Einbau lohnen.
Vergessen, verkommen eigentlich schrottreif. Ralph Ludwig haben es alte Räder angetan. Immer wieder stellen ihm Nachbarn eines vor die Tür. „Das schaue ich mir an und wenn ich eine Vision habe, dann mache ich mich ans Werk“, so der 64-Jährige. In seiner kleinen Werkstatt tauscht er verrostete Teile aus, repariert Naben und Tretlager und ergänzt das Rad mit neuen Reifen und anderen Teilen. „Die meiste Zeit geht fürs Putzen drauf“, so der Autodidakt. Seine Einzelstücke bietet er übers Internet an.
Ralph Ludwig hatte als ITler bei der Lufthansa gearbeitet, handelte mit Klangschalen und Silberschmuck, den er aus Indien importierte, bevor er wieder auf das Fahrrad kam. Ihn störte, das vieles einfach weggeworfen und nicht repariert wird. Alles begann mit der Frage, was ein befreundeter Fahrradhändler mit einer defekten Nabenschaltung macht. Wegwerfen oder einschicken war die Antwort. Ralph Ludwig baute daraufhin eine auseinander, reinigte sie und alles war wieder gut. Das ist jetzt 17 Jahre her. Alles über Zweiräder hat er sich selbst beigebracht.
Lastenräder individuell, einfach, robust und preiswert herzustellen und damit einen Beitrag zur Mobilitätswende zu leisten, das ist der Anspruch von Till Wolfer. Seine Räder werden aus vorgefertigten Aluprofilen zusammengeschraubt. „Technisch Begabte können das auch selbst machen“, so der Unternehmer. Pläne für einige Räder zum Selbstbau gibt es auf der eigenen Internetseite. Er empfiehlt dann aber einen Workshop, den seine Firma auch anbietet. In der Nähe der Hamburger Markthallen schraubt er mit freien Mitarbeitenden die bestellten Räder zusammen. Vom Coffebike mit kleiner Barista-Bar auf der Ladefläche bis hin zum Werkstattrad entstehen so unterschiedliche Versionen. Interessierte können die ungewöhnlich aussehenden Räder auch testen. Diesmal ist Sascha dabei. Der freie Künstler hat sich schon während der gemeinsamen Zeit an der Uni für Tills Räder begeistert. Um Menschen in der Ukraine zu helfen, senden Till Wolfe und seine Mitarbeitenden immer wieder Lkw-Ladungen mit Bausätzen und Ersatzteilen dorthin. „Es gibt dort viel zu reparieren und die Werkstatträder sind unabhängig von Benzin und Diesel immer einsetzbar“, begründet Till Wolfer sein Engagement.
„Die Nordreportage“ blickt den Hamburger Fahrradfreaks über die Schulter, zeigt Erstaunliches und gibt Tipps zum Umgang mit den eigenen Zweirädern.
Fahrräder aus Hamburg: Mehr als nur zwei Räder | Die Nordreportage | NDR Doku