Polen will mehr: Der Aufstieg zur Militärmacht
Polen will mehr: Der Aufstieg zur Militärmacht
„Wir müssen abschrecken, wir müssen uns verteidigen können, wir haben schon einmal erlebt, dass uns nicht geholfen wurde“, solche Sätze hört man derzeit oft in Polen. Und so ist es nur folgerichtig, dass das Land Mitte August eine so große Militärparade in Warschau abhält wie seit dem Fall der Mauer nicht mehr.
Tausende Menschen warten stundenlang, um die neuesten Errungenschaften ihrer Armee zu bejubeln. Sie heißen Abrams und HIMARS, Krab und K2 – kein NATO-Land gibt derzeit so viel für Verteidigung aus wie Polen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind es vier Prozent. Polen will die größte Landarmee Europas aufbauen. Der Großteil der Menschen findet das gut.
Seit Russlands Angriffskrieg ist Polen Frontstaat und übernimmt auch eine neue Rolle in der Welt: Es preschte vor, als es um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ging, trieb auch Deutschland vor sich her. Für US-Präsident Biden ist Polen mittlerweile der wichtigste NATO-Partner im Osten.
Das sorgt für Selbstbewusstsein, auch bei Restaurant-Besitzer Damian Drupka in Rzeszów. Er erlebt, wie seine Stadt sich binnen weniger Monate verändert. Denn in der polnischen Provinz Karpatenvorland befindet sich mittlerweile das internationale Logistik-Drehkreuz für Lieferungen an die Ukraine – auch die von Waffen. Soldaten aus mehreren NATO-Ländern sind hier stationiert. Drupka ist stolz, dass Polen, das für seine kritische Haltung gegenüber Russland lange verlacht wurde, nun endlich ernst genommen wird.
Doch die Bedrohungen sind für Polen auch sehr spürbar, in diesem Sommer 2023. Im kleinen Dorf Przewodów, wo im November 2022 eine offenbar fehlgeleitete ukrainische Flugabwehrrakete eingeschlagen ist, haben die Menschen immer noch viele Fragen. Wie kann es sein, dass ihr Präsident ihnen versichert, dass jeder Zentimeter ihres Landes geschützt ist, und sie noch immer nicht wissen, warum zwei ihrer Nachbarn sterben mussten? Und: Warum liegt eine russische Rakete mehrere Monate unbemerkt in einem Wald in der Nähe der zentralpolnischen Stadt Bydgoszcz? Welche Gefahr geht von den in Belarus stationierten Wagner-Söldnern aus? Und weshalb können belarussische Militärhubschrauber scheinbar unbemerkt auf polnisches Territorium fliegen?
Polen befindet sich in einer Art hybridem Krieg, so sieht es der renommierte polnische Sicherheitspolitik-Analyst Marek Świerczyński. Und die Regierung findet darauf offenbar nur schwer Antworten. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein belarussischer Vasall Victor Lukaschenko drohten Polen zuletzt wiederholt und öffentlich. Die Bedrohung aus Belarus, so sagt Świerczyński, könnte letztlich noch gefährlicher für Polen sein, als der russische Krieg in der Ukraine.
Und dann befindet sich das Land auch noch im Wahlkampf. Mitte Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Bleibt die rechtspopulistische und europakritische Partei PiS an der Macht? Die auch immer wieder kritisch auf Deutschland blickt? Und wie geht Polen in Zukunft mit Drohungen aus Russland und der Flüchtlingssituation an der Grenze zu Belarus um?
Für die Story reist Reporterin Susanna Zdrzalek in das Land, in dem sie geboren wurde – und erlebt ein verändertes Polen, das mit neuem Selbstbewusstsein aufrüstet – aber auch vor großen Herausforderungen steht.
Polen will mehr: Der Aufstieg zur Militärmacht | WDR Doku