Können wir ohne Macht leben?
Können wir ohne Macht leben?
Schon Zweijährige wissen, wer auf dem Spielplatz das Sagen hat. Und das bleibt so bis zum Ende des Lebens. Nur wird der Spielplatz zur Schule, zum Büro, zum Sportverein, zur Familie. Anscheinend haben wir eine Art eingebautes „Hierarchometer“, das uns in jeder sozialen Situation Orientierung gibt, wer oben steht und wer unten. Und: Macht verändert Menschen. Mächtige nehmen gefährliche Risiken in Kauf, werden impulsiv, weniger empathisch, manchmal sogar blind vor Macht. Das verursacht Konflikte oder sogar Kriege. Aber wenn Macht so viele Schattenseiten hat – wäre es da nicht mal an der Zeit, dieses Machtkorsett abzustreifen? Gemeinschaft ohne feste Machtstrukturen wurde und wird immer wieder ausprobiert. Solidarische Landwirtschaft, Kibbuz, Genossenschaften – vieles funktioniert erstaunlich gut, wenn alle etwas zu sagen haben. Das Jäger-und-Sammler-Volk der Bayaka etwa lebt am Kongo auch heute noch in einer egalitären sozialen Gemeinschaft. Es gibt keinen Anführer und keine Hierarchie. Macht wird nur dann ausgeübt, wenn es beispielsweise darum geht, die Jagd zu koordinieren. Also könnten wir ohne Macht leben – oder ist unsere Gesellschaft doch viel zu komplex, um ohne Hierarchien auszukommen?
Quellen und weiterführende Links:
Was macht Macht im Gehirn?
… Macht löst im Gehirn fast dasselbe aus wie Sex:
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/05/macht-psychologie-hirnforschung/komplettansicht
„… wir haben eine Art ‘Motivationsmaschine’ im Gehirn, die für die Ausübung von Macht von entscheidender Bedeutung ist” - sagt der Verhaltensendokrinologe Prof. Oliver Schultheiss von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Hier findet ihr die wissenschaftlich Arbeit dazu:
https://www.psych2.phil.uni-erlangen.de/~oschult/humanlab/publications/Janson%20et%20al_Power%20and%20Bias(Postprint).pdf
„… es ist nicht nur Testosteron, das unser Machtverhalten steuert - denn Testosteron ist kein soziales Konzept.” Im Podcast mit Prof. Oliver Schultheiss, Leon Windscheid und Atze Schröder erfahrt ihr noch mehr zum Thema:
https://betreutesfuehlen.podigee.io/162-wie-testosteron-dein-leben-bestimmt
Der Neurowissenschaftler Sukhvinder Obhi von der McMaster University in Ontario verglich die Hirnaktivitäten und bestimmte Gehirnstimuli von nicht-mächtigen und mächtigen Leuten. Das Ergebnis findet ihr hier:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23815455/
Warum Macht so paradox ist …
An der University of California in Berkeley erforscht der Psychologe Prof. Dacher Keltner, wie sich Menschen verändern, wenn sie in Machtpositionen kommen:
https://psychology.berkeley.edu/people/dacher-keltner
… darüber hat er auch ein Buch geschrieben: Dacher Keltner: Das Macht-Paradox: Wie wir Einfluss gewinnen - oder verlieren, 2016, Campus Verlag.
Originaltitel: “The Power Paradox.”
… und er hat sich Gedanken darüber gemacht, was Macht und Sex verbindet:
https://greatergood.berkeley.edu/article/item/what_the_science_of_power_can_tell_us_about_sexual_harassment
… anders als in der angelsächsischen Welt, wo das Wort „Power“ Macht und auch Kraft bedeutet, verbindet man in Deutschland mit Macht meistens nichts Gutes.
https://www.deutschlandfunk.de/schwerpunktthema-die-faszination-der-macht-100.html
Kann eine Gesellschaft ohne Macht und Hierarchie existieren?
… Nein, sagt Prof. Andreas Anter von der Universität Erfurt in seinem Buch über „Theorien der Macht“, 2021, Junius Verlag. Die Frage, warum sich Menschen anderen Menschen unterordnen, ist eine der ältesten Fragen der politischen Theorie.
Podiumsdiskussion mit Prof. Andreas Anter, Katholische Akademie Freiburg:
https://www.youtube.com/watch?v=-74uanB6-jY
„Wir müssen berücksichtigen, dass Macht in einer Gesellschaft etwas hoch funktionelles ist. Wir brauchen Menschen, die diese Aufgaben übernehmen”, sagt Prof. Fritz Simon, Organisationspsychologe an der Universität Witten Herdecke:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/194502/Interview-mit-Prof-Dr-med%E2%80%A6-Kraenkungen-sind-eine-starke-Motivation-fuer-beruflichen-Aufstieg
Eine Gegenposition dazu: … Es ist für alle Mitglieder einer Gesellschaft besser, Macht nicht anzuhäufen, sondern zu teilen, denn dann braucht man auch keine einzelnen, mächtigen Personen fürchten.
https://www.spektrum.de/kolumne/warkus-welt-warum-macht-besser-geteilt-wird/2142786
„… und selbst im Tierreich geht es demokratischer zu als viele denken”, sagt die Verhaltensökologin Dr. Danai Papageorgiou:
1116-ornr-x-bei-machtmissbrauch-muessen-sich-alpha-tiere-der-mehrheit-beugen-987453
Können wir ohne Macht leben? | 42 – Die Antwort auf fast alles | ARTE
Wissenschafts-Dokureihe, Regie: Boris Geiger (D 2023, 30 Min)