Deutsche Lebensläufe – Rudi Dutschke
Deutsche Lebensläufe – Rudi Dutschke
Drei Schüsse, die die Welt bewegten und Deutschland erbeben ließen. Am Gründonnerstag 1968 schießt der 23-jährige Hilfsarbeiter Josef Bachmann den Studentenführer Rudi Dutschke auf der Straße nieder. 11 Jahre später wird Dutschke an den Spätfolgen des Attentats sterben, am Heiligen Abend des Jahres 1979. Für seine Anhänger war er „unser Rudi“, Idol und Hoffnungsträger, für seine Hasser die „verlauste Kreatur“. Nach seinem Tod spricht der einstige Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, von einem „typisch deutschen Schicksal“. Die drei Schüsse auf Rudi Dutschke waren ein Attentat auf seinen Traum: den Traum von einem gesamtdeutschen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. „Bei uns zu Hause gab es nie einen Gegensatz von Christentum und Sozialismus“, hat er einmal geschrieben.
Zum real existierenden Sozialismus der DDR und der Sowjetunion ging Dutschke (1940–1979) früh auf Distanz: Er wächst in Luckenwalde auf, einem kleinen Ort in der Märkischen Heide. Seine Mutter ist strenggläubige Protestantin. Schüler Rudi engagiert sich in der Jungen Gemeinde. Obwohl in der FDJ verweigert er den Eintritt in die Nationale Volksarmee, bekennt sich zur Wiedervereinigung und darf deshalb nicht Sportjournalistik studieren. Als er 1960 in Westberlin ein Soziologie-Studium beginnt, ahnt er nicht, dass er lange nicht nach Hause zurückkehren wird. Der Bau der Mauer sperrt ihn aus. Der junge Dutschke ist „Republik-Flüchtling“. In strenger Disziplin eignet er sich die gesamte sozialistische Theorie an. Er will zurück zu deren Wurzeln, liest Marx, Lenin, Rosa Luxemburg.
Die Diskrepanz zwischen sozialistischer Theorie und Praxis der in der DDR Erlebten lässt ihn nicht los. Rudi Dutschke beschließt, „Berufs-Revolutionär“ zu werden. Fortan sieht er seine Aufgabe darin, die benachteiligten gesellschaftlichen Minderheiten zu aktivieren jene in der „Dritten Welt“, jene in der kapitalistischen Bundesrepublik. „Aufklärung als Aktion“ ist seine Parole. Er wird zum Politrebell, zum Sprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, zum Medienstar und „Volksfeind Nr. 1“. Nach dem Attentat ist sein Sprachzentrum schwer beschädigt, der größte Redner der Studentenbewegung ist zum Verstummen gebracht worden. Drei Jahre dauert es, bis Rudi Dutschke wieder sprechen gelernt hat. Mit seiner Familie verlässt er Deutschland, auf der Flucht vor der Sensationspresse, auf der Suche nach einem neuen Zuhause.
Aus mehreren Ländern wird er ausgewiesen. Schließlich kehrt er doch nach Berlin, in „seine“ Stadt zurück. Die neue Ökologie-Bewegung der Grünen lässt die alte Hoffnung auf Verbesserung der Verhältnisse wieder wach werden. Rudi Dutschke ertrinkt während eines epileptischen Anfalls in der Badewanne. Er war 39 Jahre alt. (Sendetext Tagesschau24)
Deutsche Lebensläufe – 8. Rudi Dutschke | Staffel 2, Folge 2 (60 Min.) | Do 07.11.2002 | Südwest Fernsehen