Mai Thi Nguyen-Kim – Phrenologie stimmt nie
Mai Thi Nguyen-Kim – Phrenologie stimmt nie
Mai Thi Nguyen-Kim – Phrenologie stimmt nie … außer rein zufällig ?
Eine kürzlich veröffentlichte Studie schlägt Wellen: mit Hilfe von Machine Learning soll man jemandem am Gesicht ablesen können, wie vertrauenswürdig sie oder er ist. Phrenologie! Lautet der Vorwurf – eine Pseudowissenschaft, nach welcher sich Persönlichkeiten an der Kopfform ablesen lassen sollen und die in der Geschichte oft zur „wissenschaftlichen“ Rechtfertigung von Diskriminierung benutzt wurde. Doch ein genauerer Blick lohnt sich … (für alle alten Freunde der Sonne – das hier ist Journal Club Deluxe ?)
INHALT
- Drama um Studie – Phrenologievorwurf
- Was ist Phrenologie?
- Das Studiendesign / Machine Learning
- Das eigentliche Problem mit dieser Studie
- Keksempfehlungen
maiLab wird produziert von Mai Thi Nguyen-Kim für funk (ARD & ZDF)
QUELLEN
Die Studie, um die es geht: ein Algorithmus, der historische Gemälde nach ihrer wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit zuordnen soll: https://www.nature.com/articles/s41467-020-18566-7
Ein Artikel zu der Studie im britischen Boulevardblatt The Sun: https://bit.ly/3mu2a9O
Gute Übersichten zu Phrenologie & Franz Joseph Gall:
https://bit.ly/3jDflmT
https://bit.ly/2TwFKbk
Zu den verschiedenen Aufgaben der Amygdala (die man normalerweise vor allem als Angstzentrum kennenlernt) gehören auch: emotionales Lernen und Gedächtnis (https://bit.ly/2TLEn9b), Verarbeitung von Belohnung und Strafe (https://go.nature.com/2TC9y6o), Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit von Gesichtern (https://bit.ly/37RtlYe).
Für den Kunstsinn kommt es nicht auf eine einzelne Region an, sondern es ist das Zusammenspiel verschiedener Regionen, das sich bei Künstlern und Nicht-Künstlern unterscheidet: https://go.nature.com/3kQDhF3
Ein relativ aktueller Artikel, der im Video nicht genannt wird, gibt ebenfalls einen schönen Einblick: ein “Schönheitszentrum” in dem Sinn gibt es nicht im Gehirn. Die Schönheit von Gesichtern und die Schönheit von Kunst werden in Regionen verarbeitet, die sich nicht überschneiden. https://bit.ly/3mwxrsO
Ein Teil des Hippocampus ist größer bei Taxifahrern als bei Busfahrern: https://bit.ly/2TwHeSW. Da diese Region auch für das Ortsgedächtnis zuständig ist, wird dieser Unterschied als Nachweis dafür gesehen, dass zumindest in manchen Fällen die Form des Gehirns tatsächlich mit bestimmten Eigenschaften in Verbindung steht.
Allerdings: eine große Studie mit MRT-Daten von Tausenden Personen findet keine von der Phrenologie beschriebenen Zusammenhänge. Dazu kommt, dass die Form des Kortex generell nur sehr wenig mit der das Schädels zusammenhängt: https://bit.ly/35GkuWt
Studie zu Machine Learning, bei der festgestellt wurde, dass der Algorithmus menschliche Finger als Identifikationsmerkmal von Schleien benutzt hat (siehe Figure 3, obere Reihe): https://bit.ly/2G6TB5a
Wie vertrauenswürdig wir ein Gesicht finden hängt auch davon ab, wie attraktiv wir es finden. Dieser Zusammenhang ist sehr stark: je nach Art und Intensität der ausgedrückten Emotion kann diese Korrelation eine Stärke von bis zu r = 0.90 haben. https://bit.ly/2G8poTt
Es gibt immer wieder Studien, die berichten, dass man beim Menschen eben doch die Persönlichkeit am Gesicht ablesen könnte. Aber es gibt versch. Gründe für Zweifel, z.B. dass die Persönlichkeit des Betrachters eine Rolle spielt (https://bit.ly/3oENFlA) und dass sich Dinge wie Frisur, Kleidung etc. (bei Alltagsfotos) auf die Bewertung niederschlagen (https://go.nature.com/3jz5GOp). Aber auch bei standardisierten Gesichtern gibt es Fallstricke: so wirkt ein maskulineres Gesicht in der Persönlichkeit dominanter und stabiler, unabhängig davon ob die Person das wirklich ist (